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Wert, Arbeit, Zeit – eine Replik auf die Kritik der Gruppe Krisis an der Arbeitszeitrechnung
Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien.
(Karl Marx)
Vor wenigen Wochen hielt Julian Bierwirth von der Theoriegruppe Krisis einen Vortrag über die neuere Debatte zur Arbeitszeitrechnung und unterzog diese Idee einer fundamentalen Kritik.1 Dabei stützte er sich explizit auf die Konzeption der Arbeitszeitrechnung, wie sie von der Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) in ihren Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung entwickelt worden ist und auch von uns vertreten wird. Die Arbeitszeitrechnung wird dabei als eine zunächst sympathisch daherkommende Alternative zur Geldwirtschaft betrachtet, die aber strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Fetischismus der warenproduzierenden kapitalistischen Gesellschaft habe. Ferner wurde behauptet, dass eine arbeitszeitbasierte Ökonomie die im Kapitalismus übliche Abspaltung der reproduktiven („Care-Arbeit“) von den sogenannten produktiven Tätigkeiten gar nicht überwinden könne. Schließlich wurde auch das Modell der Produktivbetriebe, die vor allem hinsichtlich der Planerstellung relative Autonomie besitzen sollen, problematisiert, da es weiterhin – wie im Kapitalismus – die Externalisierung von Kosten begünstige, die auf die Gesellschaft abgewälzt würden. Zu diesen drei Punkten möchten wir im Folgenden Stellung nehmen. Obwohl der Referent eigenen Angaben zu Folge unter seinen drei Kritikpunkten keinerlei Gewichtung nach thematischer Wichtigkeit oder inhaltlicher Relevanz vornehmen wollte, nahm der erste Kritikpunkt (Fetischismus) in dem Vortrag deutlich den meisten Raum ein. Das ist wenig verwunderlich, ist doch die Wert- und Fetischkritik letztlich das „Spezialgebiet“ der Krisis-Gruppe. Da der Wertkritik ein spezifisches Verständnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zugrunde liegt, wird dieser Teil auch in dem hiesigen Text der ausführlichste sein. Wir möchten gerade diesen Punkt zum Anlass nehmen, einige methodologische Erwägungen über Das Kapital von Karl Marx sowie zur materialistischen Geschichtsauffassung insgesamt anzustellen und etwas weiter auszuführen. Auch hier werden die beiden anderen Punkte wohl wieder ins Hintertreffen geraten, obwohl wir gerade die Frage der Reproduktion für äußerst wichtig erachten. Was hier nur in aller Kürze diesbezüglich angerissen wird, wird noch einmal Gegenstand einer eigenständigen theoretischen Erörterung werden müssen.
Der Status der abstrakten Arbeit
Seit Robert Kurz, der Mitbegründer der Krisis-Gruppe, seinen Essay Abstrakte Arbeit und Sozialismus2 verfasste, steht der von Marx im ersten Kapitel des Kapitals entwickelte Begriff der abstrakten Arbeit im Zentrum der Wertkritik. Da nach Marx die abstrakt-menschliche Arbeit, als Wertsubstanz, den Wert der Ware bilde und die Warenform der Produkte bzw. die Vergesellschaftung über den Wert von der Wertkritik als das zentrale Moment der kapitalistischen Produktionsweise betrachtet wird, sind für sie auch abstrakte Arbeit und Kapitalismus gemeinhin dasselbe. Julian Bierwirth drückte das in seinem Vortrag mehrmals so aus, dass schon die Vergesellschaftung über Arbeit ein grundsätzliches Problem sei. Robert Kurz erkannte in seinem damaligen Essay immerhin noch scharfsichtig den doppeldeutigen Status der abstrakten Arbeit im Kapital, um den es seinerzeit schon, zumeist unter Anknüpfung an Isaac Rubins Studien zur Marxschen Werttheorie, eine Debatte gab, an der sich u.a. Hans-Georg Backhaus und Dieter Wolf beteiligten. Dabei war es vor allem Backhaus, der auf das Problem einer nicht hinreichend durchgeführten Vermittlung von abstrakter Arbeit, Wert und Wertform (Tauschwert) im ersten Kapitel des Kapitals aufmerksam machte. Im Anschluss daran erwog Robert Kurz, dass es eigentlich zweierlei Wertformen geben müsse: Einerseits den Wert, als die Form, in der sich die gesellschaftliche Gesamtarbeit ausdrücke; andererseits die Wertform, als Erscheinung des Werts im Tauschwert (Geld). In diesem Zusammenhang spricht Kurz von der Wertform in erster und zweiter Potenz. Die gängige Marx-Interpretation habe das Problem zumeist dahingehend gelöst, dass sie die abstrakte Arbeit als Wertsubstanz gleich in dem Tauschwert als Wertform habe aufgehen lassen, wodurch eine kritische Betrachtung des Werts an sich unmöglich geworden sei.
Die Kurzsche Entgegnung bestand nun darin, dass er den Wert (die Wertform erster Potenz) festhält und in seiner Beziehung zur abstrakten Arbeit näher untersucht. Dabei machte er auf den durchaus doppeldeutigen Charakter der abstrakten Arbeit im Marxschen Haupttext aufmerksam: Sie sei nämlich einmal Arbeit „im physiologischen Sinne“3 als reine Verausgabung von „Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan usw.“,4 also Arbeit als gewissermaßen natürliche Potenz des Menschen, die damit in jeder Gesellschaft vorhanden sei. Andererseits gäbe es Stellen, in denen Marx unmissverständlich klar mache, dass die abstrakte Arbeit eine Organisationsform der Arbeit sei, wie sie nur unter kapitalistischer Warenproduktion vorkomme, wie etwa die folgende Stelle:
„Diese Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes gesellschaftlichen Bedürfnis befriedigen und sich so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andererseits nur die mannigfachen Bedürfnisse ihrer eignen Produzenten, sofern jede besondre nützliche Privatarbeit mit jeder andern nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt.“5
In dieser Dimension scheint auch Julian Bierwirth die abstrakte Arbeit zu verstehen, da er ebenso die Arbeitszeitrechnung als ein System von Privatarbeiten begreift, die in den Arbeitszertifikaten in Form abstrakter Arbeit aufeinander bezogen würden, aber dazu später mehr. Robert Kurz löste diese Doppeldeutigkeit der abstrakten Arbeit nun ebenfalls zugunsten dieser zweiten historisch-spezifischen Bedeutung auf: Marx, als historischer Denker par excellence, könne mit seiner Bestimmung der abstrakten Arbeit gar nicht diese bloße physiologisch-natürliche Bedeutung gemeint haben, sei diese doch nur eine ganz allgemeine unhistorische Banalität, sondern er verstehe sie als „GESELLSCHAFTLICHE (H.i.O.) Allgemeinheit oder Formbestimmung“ und als solche sei sie „allein eine historische Erscheinung der Warenproduktion“. Zu jener rein physiologischen Bestimmung zähle nach Kurz auch der Umstand, dass Arbeit immer auch eine Tätigkeit mit bestimmter Zeitdauer sei, ganz in dem Sinne, wie Marx es im Kapital formuliert, dass in „allen Zuständen (…) die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen interessieren“ musste.6 Dass alle Ökonomie immer auch eine Ökonomie der Zeit sein muss, bestreitet Kurz nicht. Daher könne dies kein Spezifikum der abstrakten Arbeit sein. (Allerdings könnte schon das in Widerspruch zu dem Umstand geraten, dass es ja gerade die Arbeitszeit ist, welche die Wertgröße bestimmt.) Schließlich verwirft er dann auch die zwar formal-gesellschaftliche, aber dennoch überhistorische Auffassung der abstrakten Arbeit von Dieter Wolf, wonach diese zunächst nur einen aliquoten Teil der Gesamtarbeit in jeder Gesellschaft darstellen soll.
Dass diese Allgemeinheit eine spezifisch kapitalistische sei, zeigt sich für Kurz nun darin, dass sich die abstrakte Arbeit dann im Wert als Realabstraktion – ein Begriff, den er von Alfred Sohn-Retel übernimmt – gegenüber den gesellschaftlichen Akteuren verselbstständigt. Diese Verselbstständigung der Realabstraktion Wert kulminiert dann für ihn in der irrationalen Geldform, als selbstständiger Wertgestalt, auf die sich die ganze kapitalistische Produktion, als Verwertung des Werts, hin ausrichtet. Seit jenem Aufsatz war es für Robert Kurz, und im Grunde für alle, die sich der Wertkritik irgendwie verbunden fühlen, nicht nur eine ausgemachte Sache, dass die abstrakte Arbeit ausschließliches Formprinzip kapitalistischer Warenproduktion sei, sondern dass Arbeit überhaupt als vergesellschaftendes Prinzip verabschiedet werden müsse. Dies, die Verselbstständigung des Werts gegenüber den Menschen in der Warenproduktion, wird von den Wertkritiker*innen gemeinhin als der Skandal kapitalistischer Vergesellschaftung betrachtet. Die Enteignung der Masse von Menschen von ihren Produktionsbedingungen, die sich tagtäglich reproduziert, die daraus entspringende Entfremdung der Menschen gegenüber ihrer eigenen gesellschaftlichen Tätigkeiten, sowie die in ihren technischen Möglichkeiten nur noch durch die menschliche Physis begrenzte Ausbeutung der Arbeitskräfte durch das Kapital, kurzum: Fremdbestimmung und Herrschaft werden als davon abgeleitete und nicht selten als untergeordnete Phänomene betrachtet.
In Abstrakte Arbeit und Sozialismus stellte Robert Kurz immerhin noch, in Anknüpfung an Hegels Bestimmungen des Allgemeinen, in Aussicht, dass die Arbeit von ihrer abstrakt-allgemeinen Organisation unterm Kapital abgelöst werden müsse von einer konkret-allgemeinen Organisationsform, welche „den Reichtum der vielen besonderen nützlichen Arbeiten, die wirkliche Totalität der gesellschaftlichen Arbeit ‚in sich faßt‘ und nicht davon abgetrennt ist.“ Doch von dieser negativen Dialektik der Arbeit, der auch Marx selber durchaus gewahr blieb, als er den kapitalistischen Produktionsprozess als nicht-identische Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess beschrieb, ist in den späteren Publikationen der Wertkritiker*innen nicht mehr viel zu finden. Dort werden dann Arbeit, abstrakte Arbeit, Privat- und Lohnarbeit oftmals synonym verwendet. Dies hat vielleicht seine Berechtigung darin, dass alle wertbildende Arbeit im Kapitalismus unter entfremdeten und unwürdigen Bedingungen organisiert ist, und dass viele dieser Arbeiten – vom Gebrauchswertstandpunkt aus besehen – zudem noch nutz- und sinnlos sind, führt aber mit Blick auf eine politische Ökonomie des Sozialismus zu teilweise irreführenden Annahmen.
Fassen wir nochmal zusammen: Weder der Sachverhalt, dass die Arbeit eine Verausgabung physiologischer Kräfte mit bestimmter Zeitdauer, noch dass alle menschliche Arbeit immer auch Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit ist, machen für Robert Kurz die Charakteristik der abstrakten Arbeit aus, sondern dass sie auf den Wert gerichtete Arbeit ist, also warenproduzierende Arbeit – oder wie Marx auch sagt – Privatarbeit ist, deren gesellschaftlicher Charakter sich dann in der Realisierung der geschaffenen Wertprodukte (Waren) im Geld bestätigt. Wie verhält es sich daneben nun mit den physiologischen „Banalitäten“ der Arbeit überhaupt? Daniel Dockerill, der Abstrakte Arbeit und Sozialismus einer etwas langatmigen Kritik unterzogen hat, hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass die Ausgrenzung der physiologischen und überhistorischen Tatbestände aus dem Begriff der abstrakten Arbeit in einen schlechten Dualismus zu führen droht, da Historisches und Überhistorisches in dem Begriff nicht mehr vermittelt sind.7 Dass in den Epochen der verschiedenen ökonomischen Gesellschaftsformationen menschliche Geschichte und (menschliche) Natur in ihrer Einheit je spezifisch konfiguriert sind, hätte Robert Kurz sicherlich nicht bestritten, hält er doch auch in seinen späteren Schriften an der Idee des „Stoffwechsels mit der Natur“, den Marx als das elementare Gattungsvermögen des Menschen bestimmt, welches die Geschichte überhaupt erst ermöglicht, fest, auch wenn er diesen nicht mehr Arbeit nennen möchte. Würde man dieses Vermögen anders, beispielsweise als Tätigkeit bezeichnen, wäre dennoch dasselbe Problem vorhanden: Abstrakte Arbeit wäre die Einheit von Arbeit und Tätigkeit, wobei Letztere, insofern sie Bestandteil der abstrakten Arbeit ist, immer schon den Charakter von Arbeit hätte.
Marx war diesem dialektischen Charakter der Arbeit schon in seinen frühesten methodologischen Überlegungen zu seiner Kritik der politischen Ökonomie gewahr. So schreibt er in dem Einleitungsentwurf zu den sogenannten Grundrissen:
„Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit – als Arbeit überhaupt – ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefaßt, ist „Arbeit“ eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen. (…)
Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith, jede Bestimmtheit der Reichtum zeugenden Tätigkeit fortzuwerfen – Arbeit schlechthin, weder Manufaktur, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andre. (…) Nun könnte es scheinen, als ob damit nur der abstrakte Ausdruck für die einfachste und urälteste Beziehung gefunden, worin die Menschen – sei es in welcher Gesellschaftsform immer – als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der andren nicht. Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo eines vielen gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besondrer Form gedacht werden zu können. Andrerseits ist diese Abstraktion der Arbeit überhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalität von Arbeiten. Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehn und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaften – den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie „Arbeit“, „Arbeit überhaupt“, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft.“8
Arbeit ist hier einerseits eine Abstraktion des Verstandes, der die verschiedenen menschlichen Tätigkeiten in den verschiedenen geschichtlichen Epochen unter einen Begriff subsumiert. Als solche ist sie eine äußerst formelle Abstraktion, die einen geringen wissenschaftlichen Wert besitzt, und gerade im Hinblick auf eine Konzeptualisierung der menschlichen Geschichte ihre Spezifikation notwendig erfordert, wie sie durch Marx in der Charakterisierung der verschiedenen europäischen Produktionsweisen (Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus) dann auch erfolgt ist. Andererseits ist nach Marx eine solche gedankliche Abstraktion nur möglich, wenn die Arbeit schon gesellschaftlich in einer solch abstrakten Weise organisiert ist – wenn sie Realabstraktion ist. Nur durch die kapitalistische Arbeitsteilung und den Austausch der verschiedenen Teilarbeiten mit Geld wird erst „praktisch wahr“, dass allen menschlichen Tätigkeiten gewisse formelle Bestimmungen gemeinsam sind:9 Diese sind aber gerade die scheinbar banalen physiologischen Qualitäten der Arbeit, wie sie bei Marx im Kapitel über den Arbeitsprozess näher untersucht worden sind. Als solche sind sie auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise zwar immer schon durch den Verwertungsprozess organisiert, aber nicht ausgelöscht. Ganz im Gegenteil kommen genau hier die physiologischen Aspekte der Arbeit in Betracht, sonst entbehrte die Werttheorie jeder rationalen Grundlage. Schließlich ist es doch die Arbeitszeit, welche nach Marx die Wertgröße bestimmen soll. So ist die abstrakte Arbeit – wie Robert Kurz zurecht insistierte – historisch spezifisch, aber immer, indem sie auf dieser physiologischen Basis operiert – und zwar unter bestimmten gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, den kapitalistischen. Dockerill formuliert dies treffend in der folgenden Weise:
„Der Wert, bestimmt als Vergegenständlichung abstrakter Arbeit, ist eben zunächst nur jener unabhängig von der Form betrachtete Gehalt des Tauschwerts, der spezifischen Formbestimmung der Ware. Historisch Besonderes ist dieser Gehalt daher nicht an sich, sondern nur insofern er Bestimmungsmoment der historisch besonderen Form der Ware, näher ihres Tauschwerts ist. Dass überhaupt an der Ware sich Bestimmungen finden, die, abstrakt für sich betrachtet, historisch unspezifischen, d.h. übergreifend allgemeinen Charakter zeigen, nimmt ihr nichts von ihrer Besonderheit, sondern weist diese nur aus als selber geschichtliches, der einen menschlichen Geschichte zugehöriges Produkt…“10
Dockerill weist hier im Zusammenhang mit der abstrakten Arbeit noch einmal entschieden auf den Unterschied von Wertsubstanz und Wertform hin, der die Unterscheidung von Wertform erster und zweiter Potenz überflüssig macht, welche den Zugang zum Verständnis der Wertformanalyse im Kapital eher erschwert als erleichtert. Denn eine solche legt nahe, dass der Wert noch in einer anderen Form erscheinen könne als in der des Tauschwerts. Die abstrakt-menschliche Arbeit, als Substanz des Werts hat aber an sich selbst keine Erscheinung und erscheint daher notwendig als etwas anderes als das, was sie ist, nämlich als eine dritte Ware, die den anderen Waren gegenüber ihre Wertgegenständlichkeit ausdrückt, weil sie diesen als Produkt menschlicher Arbeit gleich gilt. Der Wert kann nur im Tauschwert erscheinen, die Ware muss sich notwendig verdoppeln in Ware und Geld. Von der Notwendigkeit dieser Verdopplung geht auch Robert Kurz selbstverständlich aus, aber diese Verdopplung geht vor sich, weil die Waren Produkte privater Arbeiten sind und ihre Allgemeinheit als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erst am Markt bewähren müssen. Die Werte realisieren sich in von ihnen abweichenden Markt- bzw. Produktionspreisen. Daher kann der Zusammenhang von Ware und Geld, von Wert und Preis nur im Fortgang der theoretischen Darstellung des Kapitals begriffen werden. So wichtig es für die Marx-Rezeption außerhalb der traditionellen Organisationen der Arbeiter*innenbewegung damals auch gewesen sein mag, sich über den Status der Kategorien im ersten Kapitel des Kapitals Rechenschaft abzugeben, so falsch ist es, im ersten Kapitel, bei der Betrachtung der Einzelware stehen zu bleiben und darauf eine ganze Weltanschauung aufzubauen.11
Gleiches zeigt sich auch an dem Verständnis der sogenannten Privatarbeiten, welche nach Marx im ersten Kapitel formelle Voraussetzung dafür sind, dass die Arbeitsprodukte überhaupt Warenform annehmen. Schließlich behauptet Julian Bierwirth, diese seien auch der Arbeitszeitrechnung der GIK strukturell vorausgesetzt. Wie verhält es sich mit diesen Privatarbeiten im Kapitalismus? Es ist nun keineswegs so, dass hier irgendwelche Kleinproduzent*innen (Handwerker*innen und Bäuer*innen) ihre Waren miteinander austauschen – eine Vorstellung, die von Marx selbst leider tendenziell zunächst begünstigt wird, da er in der Darstellung der „einfachen Warenzirkulation“ immer wieder Bespiele aus der handwerklichen Arbeit und vorkapitalistischen Gemeinwesen gibt. Es sind vielmehr kapitalistische Großbetriebe, welche die reale Verfügungsmacht und Kontrolle über die Produktionsbedingungen besitzen, die beständig neue Warenmassen in die Zirkulation werfen, um deren Werte bzw. den von den ausgebeuteten Lohnabhängigen erzeugten Mehrwert zu realisieren. Die Struktur dieser kapitalistischen Produktionsverhältnisse setzt im Umkehrschluss natürlich voraus, dass es überhaupt Lohnabhängige gibt, also eine Masse von Menschen, die von diesen Produktionsbedingungen getrennt und damit auch der Kontrolle über die Produktion des Reichtums beraubt ist. Marx hat diesem historischen Vorgang, der sogenannten ursprünglichen Akkumulation in England, ein eigenes Kapitel gewidmet, um an die Gewalt zu erinnern, mit der diese neue Produktionsweise auf die Welt gekommen ist. Das ist keine juristische Verkürzung eines noch gänzlich in den Vorstellungen der Arbeiter*innenbewegung befangenen Marx, wie Bierwirth in Bezug auf Friedrich Engels Vorstellung einer Arbeitszeitrechnung meint, sondern ein zentraler Gedanke der marxistischen Gesellschaftstheorie! Wenn Marx in diesem Zusammenhang von (Privat-)Eigentum spricht, ist damit nicht in erster Linie die juristische Form gemeint, die diese Produktionsverhältnisse angenommen haben, sondern die Form der realen Aneignung bzw. Enteignung vom gesellschaftlichen Produkts und den Bedingungen, unter denen es erzeugt wird. Dass die Produkte Warenform und damit Wertgegenständlichkeit annehmen ist das täglich aufs Neue reproduzierte Ergebnis dieser Produktionsverhältnisse, nicht deren Voraussetzung.
Da uns Robert Kurz in seinem Essay dankenswerterweise über den Status Hegelscher Begriffe im Marxschen Kapital belehrt, sei hier noch hinzugefügt, dass die systematische Architektur der drei Kapitalbände sich strengstens an Hegels Vorgabe aus der Logik hält, dass in der logischen Darstellung Grund und Folge sich verkehren: Das Komplizierte wird aus dem Einfachen abgeleitet, aber das Komplizierte ist zugleich Grund des Einfachen, so dass das Einfache nur ein Moment des Komplizierten ist.12 So leitet Marx das Geld aus der Ware ab und das Kapital aus dem Geld, doch im Fortgang der Darstellung zeigt sich, dass Ware und Geld nur Erscheinungsweisen des Kapitals sind, Waren- und Geldkapital. Wenn er am Anfang seines Buches schreibt, dass der Reichtum in Gesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise herrsche, als eine ungeheure Warensammlung erscheine, dann ist damit zunächst die vollentwickelte kapitalistische Produktionsweise stillschweigend vorausgesetzt. Worin aber nun die Charakteristika dieser Produktionsweise bestehen, muss dann im Fortgang der Darstellung gezeigt werden. In diesem Sinne bilden Termini, wie abstrakte Arbeit oder auch Privatarbeit, erst einmal einen ganz formellen Rahmen, in dem der Wert an einer ideellen Einzelware13 plausibel dargestellt werden soll, ohne dabei schon die Kenntnis des kapitalistischen Gesamtprozesses bei den Leser*innen voraussetzen zu müssen. Inwiefern die abstrakte Arbeit als Gesamtarbeit, und die Privatarbeiten als Teil dieser Gesamtarbeit organisiert sind, und inwiefern die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit durch die Bewegung der Konkurrenz dann tatsächlich hergestellt wird, klammert Marx an dieser Stelle bewusst aus. Darum ist es aber umso wichtiger, diese Prämissen wieder einzuholen. Solche Dialektik vergisst, wer den esoterischen, fetischkritischen vom exoterischen, arbeiterbewegten Marx sauber geschieden wissen will. Dann wird der Warenfetischismus zur Ursache der Entfremdung umgebogen und nicht mehr als Folge der tatsächlichen gesellschaftlichen Entfremdung erkannt, nämlich der Trennung der Produzenten von den objektiven Bedingungen ihrer Reproduktion; dann kann man zwar die Abschaffung aller Arbeit fordern, doch es wird immer die Frage offen bleiben, wer meine Nahrungsmittel oder meine Möbel herstellt, wer sich um meine schmutzige Wäsche kümmert, wenn ich es nicht selber tue?
Abstrakte Arbeit und Arbeitszeitrechnung
Kommen wir nun zum Ausgangspunkt der Untersuchung zurück, also der Frage, ob die Arbeitszeitrechnung, wie sie von der GIK konzipiert wurde, fetischistische Strukturen, analog zu denen des Kapitalismus, reproduziere; ob die Arbeiten innerhalb einer solchen arbeitszeitbasierten Gesellschaft sich als Privatarbeiten aufeinander beziehen. Dies scheint Julian Bierwirth anzunehmen, weil die GIK zunächst von produktiven Einzelbetrieben ausgeht, die Planungsautonomie haben. Ein solcher Ausgangspunkt ist unvermeidlich, wenn es keine zentrale quasi-staatliche Planungsinstanz geben soll, die sowohl den Produzent*innen als auch den Konsument*innen Vorschriften macht. Diese sollen sich vielmehr in Betrieben und Konsumgenossenschaften organisieren und über Betriebsräte selbst verwalten. Nun könnte der Eindruck entstehen, dass dadurch die zersplitterte Betriebsstruktur, wie sie innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus vorgefunden wird, gar nicht aufgehoben, sondern beibehalten wird, und dass die Betriebe weiterhin in Konkurrenz zueinander stehen, in dem Sinne, dass jeder Betrieb hinreichend Zertifikate durch seinen Vertrieb akkumulieren muss, um sich reproduzieren zu können.14 Doch genau das ist nicht der Fall. Die produktiven Betriebe bilden zwar relativ selbstständige Einheiten innerhalb der sozialistischen Ökonomie, sind aber von vornherein vergesellschaftete und in Kooperativen organisierte Betriebe, in denen unmittelbar gesellschaftliche Arbeit geleistet wird, was bei genauerer Betrachtung am Planverfahren ersichtlich wird. In den Plänen, welche die Einzelbetriebe aufgrund von bereits vorhandenen Produktionsdaten (Auslastung, Normalarbeitstag, Absatz/Nachfrage) erstellen, wird ersichtlich, welchen Anteil an der Gesamtarbeitszeit ihre Arbeit hat bzw. haben wird. Diese Pläne reichen sie bei der öffentlichen Buchhaltung ein, wo sie auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft und gegebenenfalls auch bewilligt werden. Einmal bewilligt, bekommen die Betriebe die Stunden gutgeschrieben, die sie benötigen, um sich die in ihren Plänen angegebene Menge an Produktionsmitteln und Arbeitskräften besorgen zu können. Dann beginnt die Produktion und die Verteilung der produzierten Güter an die Konsumgenossenschaften. Dort können die Konsument*innen diese Güter gegen die in ihrem Betrieb erhaltenen Arbeitszertifikate einlösen. Es findet hier wohlgemerkt kein Tausch statt (wenngleich ein gesamtgesellschaftlicher Austausch), denn die Zertifikate erlöschen in dem Augenblick, in dem sie eingelöst werden. Weder werden diese von den Konsumgenossenschaften besessen, noch werden sie an die produktiven Betriebe weitergereicht. Sie erlöschen ganz einfach, weil der gesellschaftlich vorgesehene Transfer stattgefunden hat. In diesem Sinne besitzen die Zertifikate keine selbstständige Wertgegenständlichkeit, sie können weder getauscht, noch akkumuliert werden, noch zirkulieren sie!
Wie bereits erwähnt, sind die Einzelbetriebe nicht auf die Zertifikate der Konsument*innen angewiesen, um sich reproduzieren zu können. Sie reproduzieren sich ausschließlich über die Pläne, die sie einreichen. Natürlich kann es in diesem Zusammenhang vorkommen, dass die Betriebe jeweils zu viel oder zu wenig von den benötigten Produkten produziert haben. Dies würde ihnen von den Konsumgenossenschaften mitgeteilt werden. In ihrem nächsten Planungszyklus müssen sie dann ihre Pläne entsprechend korrigieren. Wenn die Korrektur erfolgt ist, steht einer weiteren Planbewilligung nichts im Wege. Das heißt dezentrale Planwirtschaft: Pläne werden mit Sachkenntnis von denen erstellt, die von den Produktionsabläufen nicht nur die meiste Sachkenntnis besitzen, sondern auch von ihnen unmittelbar betroffen sind. Diese Pläne können von der ganzen Gesellschaft über die öffentliche Buchhaltung eingesehen und kontrolliert werden. Die Buchhaltung sollte dabei nicht als staatlich-bürokratischer Gewaltapparat verstanden werden, sondern als Informationsspeicher, mit dessen Hilfe politische Entscheidungen getroffen werden können. Sie ist ein von der Gesellschaft berufener Apparat, d.h. nicht die öffentliche Buchhaltung kontrolliert die Betriebe, sondern die Gesellschaft kontrolliert über die Buchhaltung die Betriebe und damit sich selbst. Damit wäre im Grunde auch Julian Bierwirths Kritikpunkt erledigt, den Einzelbetrieben wäre durch ihre isolierte Struktur die Möglichkeit geboten, Kosten zu externalisieren. Denn, erstens, gibt es ja zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit öffentlicher Kontrolle, und zweitens, ist das Überleben der Betriebe in erster Linie nicht an Kriterien der Effizienz und Produktivität, sondern an Rationalität gebunden. Effizienz, im Sinne einer ressourcenschonenden Verarbeitung und höhere Produktivität, insofern diese unangenehme Arbeiten reduziert, können Teil dieser Rationalität sein, aber maßgeblich sind die Interessen der Produzent*innen und die Durchführbarkeit ihrer Pläne. Misswirtschaft kann natürlich im Einzelfall immer wieder vorkommen, aber sie ist nicht der Ökonomie intrinsisch, weil sie nicht auf Konkurrenz, sondern auf Kooperation und Kontrolle setzt, statt von einem Kommunismus mit moralisch einwandfreien Leuten auszugehen. Diese Kooperation und Kontrolle findet statt auf Basis einer transparenten Recheneinheit, der Arbeitszeit, die nicht nur dem physiologischen Tatbestand Rechnung trägt, dass alle Produkte Produkte menschlicher Arbeit sind, sondern auch dem anthropologischen, dass die Lebenszeit eines jeden Menschen begrenzt ist.
Damit sind wir bei dem gewichtigsten Einwand von Julian Bierwirth gegen die Arbeitszeitrechnung angelangt, nämlich dem sogenannten Arbeitszwang. Denn wie auch immer er sich in der hier vorgestellten Version der Wertkritik wiederfinden möge, und selbst, wenn er akzeptieren könnte, dass die Arbeitszertifikate aufgrund ihrer mangelnden Wertgegenständlichkeit kein Geld sind, so würde er vermutlich dennoch die Kritik vorbringen, dass es nach wie vor die individuell geleistete Arbeit sei, welche den Anteil der Menschen an den Konsumgütern bestimme. Tatsächlich bildet die Kopplung des individuellen Konsums an die individuelle Leistung den Ausgangspunkt des GIK-Konzepts, auch wenn im Fortgang der technischen wie moralischen Entwicklung der Menschheit der Aushebelung des Leistungsprinzips gedacht ist mit der Überführung der produktiven Betriebe in den öffentlichen Sektor, dessen Güter und Dienstleistungen ohne die Einlösung von Arbeitszertifikaten, d.h. ohne Gegenleistung bezogen werden können. Die GIK hat hierfür den Faktor individueller Konsum (FIK) eingeführt, in dem der Arbeitsaufwand, der für die öffentlichen Betriebe erforderlich ist, mit der Gesamtarbeit verrechnet wird, womit dann in jeder einzelnen Arbeitsstunde abgebildet werden kann, wie hoch der Anteil der Arbeit ist, die auf den öffentlichen Sektor entfällt. Wird ein Drittel der Gesamtarbeit auf den öffentlichen Sektor verwandt, liegt der FIK bei rund 0,67, d.h. jede*r Arbeiter*in bekommt für eine Arbeitsstunde 0,67 Zertifikate. Auch schon bei der GIK ist vorgesehen den öffentlichen Sektor immer weiter auszudehnen und den FIK gegen 0 sinken zu lassen, doch wie schnell und auf welchem Wege die Außerkraftsetzung des Leistungsprinzips möglich ist, bleibt offen und muss letztlich von der Gesellschaft selbst entschieden werden. Das ist auch nicht das vordergründige Thema hier. Denn unbestreitbar bleibt dem Ausgangspunkt des Konzepts die Leistungsidee inhärent.
Dies hat jedoch einerseits notwendig-sachliche und andererseits eminent politische Gründe. Der sachliche Grund besteht zunächst darin, dass alles, was konsumiert werden kann, zuerst produziert werden muss. So human daher die Ansicht, die Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum solle nichts mit den eigenen Leistungen zu tun haben, in jedem Einzelfall auch ist, so falsch wäre sie, wenn man sie auf die Gattung oder die Gesamtgesellschaft beziehen würde. Denn mit Blick auf die Gattung wird ersichtlich, dass immer eine ganze Reihe von Arbeiten anfallen, die verrichtet werden müssen, damit die Gesellschaft ihr materielles wie kulturelles Niveau halten, geschweige denn erweitern kann und es stellt sich stets die Frage, wer diese Arbeiten erledigt. Der Mechanismus der individuellen Arbeitszertifikate liefert hierfür einen dezentralen Steuerungsmechanismus, der zugleich Angebots- und Bedarfsmengen zueinander ins Verhältnis setzt. In kapitalistischen Gesellschaften erfüllen die Warenmärkte eine ganz ähnliche dezentrale Allokationsfunktion, doch wird hier die in den Produkten steckende Arbeitszeit nur sehr indirekt ausgedrückt. Das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht ist hier ohnehin zweitrangig, weil die Märkte privaten Unternehmen dazu dienen, Profite zu realisieren. Produktüberschüsse oder -knappheiten machen sich dort immer nur im Nachhinein geltend, wenn die Profitraten steigen oder fallen. Innerhalb der Arbeitszeitrechnung wird durch den Transfer der Zertifikate gesellschaftliche Planung organisiert und zugleich weitgehende individuelle Entscheidungsfreiheit und Flexibilität im Konsumverhalten ermöglicht. Oder wie die GIK schreibt: „Die Festlegung der Arbeitszeit als Maß für den Verbrauch ist nichts anderes als eine technisch notwendige Maßnahme, um planmäßig verbrauchen und produzieren zu können.“15 Zu jedem Zeitpunkt bleibt transparent, ob die hergestellten Produkte tatsächlich benötigt und genügend Arbeit auf bestimmte Produkte oder Produktklassen verwandt worden ist, um den gesellschaftlichen Bedarf zu decken, ohne dass man vorher große gesamtwirtschaftliche Berechnungen durchführen müsste, die den gesamten Output und Bedarf exakt ermitteln, denen die GIK zurecht skeptisch gegenübersteht. Das liegt nicht nur an dem Umstand, dass solche Größen für Millionen von Menschen zu errechnen damals als schiere Unmöglichkeit erschien, sondern auch daran, dass eine solche Berechnung Ausdruck einer gesellschaftlichen Entfremdung zwischen Planungsbehörden, Produzent*innen und Konsument*innen sein könnte. Hier wären Produzent*innen und Konsument*innen wieder Objekte der Planung, nicht deren Subjekte.
Dies führt denn auch zu den politischen Gründen, die die GIK zu einer Kopplung von Leistung und Konsum motiviert haben dürften: Wenn denn schon jede Menge Arbeiten anfallen, um den Reichtum der Gesellschaft erhalten und erweitern zu können, dann sollten diese Arbeiten auch auf alle Arbeitsfähigen annähernd gleich verteilt werden. In Marxschen Termini heißt das: Es soll sich keine (Mehr-)Arbeit mehr fremd angeeignet werden können und, soweit überhaupt noch Mehrarbeit verrichtet werden muss, soll es immerhin für alle einsehbar und nachvollziehbar sein. Herrschaft und Fremdbestimmung sollen jedenfalls unmöglich sein und dafür ist es notwendig, die Arbeiten in transparenter Weise zu organisieren. Dass eine Leistungskontrolle auch sinnvoll sein könnte, versteht man natürlich nur, wenn man davon ausgeht, dass Ausbeutung nach wie vor ein gravierendes Problem kapitalistischer Gesellschaften ist. Für Julian Bierwirth scheint sich das Problem aber ganz anders zu stellen. Es sei nämlich schon das Problem, dass sich die Menschen überhaupt über individuelle Privatarbeiten aufeinander beziehen und sich nur auf diese Weise reproduzieren können. Unklar bleibt dabei, ob die Privatarbeiten dabei als warenproduzierende, auf den Tauschwert gerichtete, Arbeiten verstanden werden; dies wäre eine von der Produktseite hergeleitete Bestimmung der Privatarbeit, wie sie auch hier in dem Text weiter oben vorgenommen wurde. Das wäre aber hoffentlich schon durch den Nachweis, dass die Arbeitszertifikate gerade keine Wertgegenständlichkeit besitzen, hinreichend entkräftet. Oder aber er versteht die Privatarbeit analog zur Lohnarbeit, wobei die Arbeitszertifikate hier den Lohn ersetzen, die aber nach wie vor den Anteil der Produzent*innen am Konsum bestimmen und beschränken. Dann stünde eher die Produzent*innenseite im Vordergrund. Das würde allerdings dem Begriff der Privatarbeiten eine Bedeutungsrichtung geben, der sich aus seiner konkreten Verwendung bei der Wertformanalyse – wo die Produzent*innenseite nämlich noch gar nicht in Betracht kommt – nicht ohne Weiteres herleiten lässt. Unserer Ansicht nach soll ja der abstrakte Begriff der Privatarbeiten genau der Platzhalter für diese vorläufige Ausklammerung sein. Dafür, dass Bierwirth aber den Begriff der Privatarbeit auch in dieser Bedeutung hier nimmt, scheint jedenfalls einiges zu sprechen: Er kritisiert nämlich auch die Vereinzelung, die sich aus der Ausschüttung der Arbeitszertifikate an die einzelnen Arbeiter*innen für ihre jeweiligen Tätigkeiten ergäbe. Die Arbeiter*innen hätten gar kein wirkliches Interesse an ihrer jeweiligen Tätigkeit, sondern würden diese nur erledigen, um an die Zertifikate zu kommen, die damit nichts anderes wären als Gratifikationen, die zum individuellen Konsum berechtigten. Dies nur für sich genommen hätte tatsächlich starke strukturelle Ähnlichkeiten mit den entfremdeten Lohnarbeitsverhältnissen im Kapitalismus. Dabei wird aber der wichtige Punkt übersehen, dass die Produzenten dem Betrieb nicht mehr bloß als einer fremden Macht gegenüberstehen, sondern den Betrieb selber verwalten, das Betriebsleben aktiv mitgestalten und darum auch die Produktionspläne in Eigenregie erstellen müssen. Die Entfremdung in der Arbeit ist durch die Selbstverwaltung aufgehoben. Es herrscht sozusagen demokratischer Kollektivismus in der Produktion und Individualismus und Liberalität im Konsumverhalten, natürlich mit der Einschränkung, dass bestimmte Produkte von vornherein gar nicht mehr produziert werden, weil sie die Gesellschaft zu viele Ressourcen kosten, sozial oder ökologisch unverträglich sind und dergleichen. Hierdurch würde das, was manche die Versöhnung von Individuum und Gesellschaft nennen, erstmals eine konkretere inhaltliche Ausgestaltung gewinnen und endlich die zweifelhafte Weihe eines bloß abstrakt-regulativen Philosophems abstreifen. Außerdem veranlasst gerade das Prinzip, dass jede Arbeitsstunde gleich zählt, welches auch die unangenehmen Arbeiten mit einschließt, dass die Gesellschaft Verfahren entwickeln muss, diese Arbeiten gerecht zu verteilen – oder sie durch Technik zu ersetzen. Die Gleichheit in der Vergütung sorgt also dafür, dass es sich hier nicht um eine bloße Gratifikation beliebiger Tätigkeiten handelt, sondern um ein Instrument zur transparenten Aufteilung der Arbeiten. So wird einsehbar, wer welche Aufgaben übernommen hat und jegliche Form der Ausbeutung verunmöglicht.
Arbeitszeitrechnung und Reproduktion
In diesem Zusammenhang ist es daher auch besonders verwunderlich, dass sich Julian Bierwirth bei seinem zweiten Kritikpunkt, die Arbeitszeitrechnung würde weiterhin die Abspaltung der reproduktiven von den produktiven Tätigkeiten reproduzieren, ausgerechnet auf Heide Lutoschs Essay „Wenn das Baby schreit, dann möchte man doch hingehen“16 beruft. Denn Heide Lutosch kritisiert in ihrem Essay gerade Vorstellungen über den Kommunismus, die davon ausgehen, dass Sorgearbeit einer „ganz anderen Logik“ unterstehe als die industrielle Arbeit oder Dienstleistungen. Dagegen beharrt sie darauf, dass Sorgearbeit – unabhängig von ihren affektiven Momenten – zunächst einmal gänzlich unmystifiziert als körperlich anstrengende Arbeit begriffen werden sollte, die gesellschaftlich auch entsprechend erfasst, organisiert und gegebenenfalls rationalisiert werden sollte. Sie plädiert dafür, „Sorgearbeit mit ihren affektiven und nicht affektiven Aspekten rational“ zu „analysieren und die nicht-affektiven Aspekte auf ihre Quantifizierbarkeit (H.d.V.), Kollektivierbarkeit, Automatisierbarkeit und Digitalisierbarkeit hin untersuchen.“ Auf welche Weise sollte eine solche Quantifizierung besser gelingen als durch die Arbeitszeitrechnung, wie sie von der GIK entwickelt worden ist, in der die Produzent*innen ihre Arbeitszeit selber erfassen? Ebenso ist Heide Lutosch in dem Punkt zuzustimmen, dass weite Teile der nicht-affektiven privaten Reproduktion der häuslichen Domäne entzogen und vergesellschaftet, also in Form öffentlicher Betriebe, organisiert sein sollte.
Außerdem richtet sich Lutoschs Kritik vor allem gegen Utopiekonzepte, die allzu vorschnell von einer Verschmelzung der Produktions- und Reproduktionsbereiche ausgehen, in denen dann die Menschen konfliktfreudig, selbstbewusst und dennoch respektvoll die Verteilung der Arbeitslasten und andere Probleme miteinander aushandeln; die also im Grunde davon ausgehen, das würde schon alles irgendwie laufen. Nicht zu Unrecht erhebt sie den Verdacht, dass in solchen Utopien alle Gesellschaftsglieder im Grunde als männliche, gesunde, akademisch gebildete und in Konflikttrainings geschulte Mittdreißiger vorgestellt werden. Doch gerade Beziehungsformen, ohne geregelte und transparente Verfahren, seien immer mit der Gefahr konfrontiert, dass die Arbeiten am Ende von denen übernommen werden, die sich am meisten dafür verantwortlich fühlen – das sind mit Blick auf die Reproduktion immer noch die Frauen. Eine solche Kritik könnte auch Bierwirths recht vage gehaltenen Ideen von einer befreiten Gesellschaft treffen, während die Arbeitszeitrechnung ein Verfahren böte, auch im Bereich der Reproduktion Transparenz und Fairness in der Aufgabenverteilung herzustellen.
Doch Heide Lutosch ergreift in ihrem Essay vor allem auch Partei für all diejenigen, die zur Arbeit gar nicht fähig sind, weil sie zu jung oder zu alt, zu schwach, benachteiligt oder einfach zu zerbrechlich sind und in diesem Sinne wird Bierwirth ihren Text auch als Kritik an einer leistungsbasierten Arbeitszeitrechnung verstanden haben. Aber die Arbeitszeitrechnung hätte auch hier gewisse Vorzüge: Denn der von der GIK propagierte Grundsatz, dass jede geleistete Arbeitsstunde gleich gelten sollte, schützt erst einmal auch benachteiligte Menschen. In einer arbeitszeitbasierten Ökonomie wären Benachteiligte nicht von vornherein aus der Ökonomie, und damit von der Möglichkeit sich sinnvoll an der Reproduktion der Gesellschaft zu beteiligen, ausgeschlossen; ihre Arbeit wäre auch nicht – wie dies etwa heute in den sogenannten Behindertenwerkstätten der Fall ist – durch eine lächerlich geringe Entlohnung massiv abgewertet, sondern ihre Arbeit würde dann eben jeder anderen für die Gesellschaft geleisteten Arbeit gleich gelten. Hierfür ist nichts weiter nötig, als dass diese Arbeiten wie alle anderen bei der öffentlichen Buchhaltung als Pläne eingereicht und registriert werden. Ob es tatsächlich nötig und wünschenswert ist, dass jede noch so geringe Tätigkeit als gesellschaftliche Arbeit erfasst werden soll, ist damit nicht gesagt. Auch hierfür wird die Gesellschaft sinnvolle Verfahren entwickeln müssen, mit denen alle leben können sollten. Dies wird sicherlich nicht ohne die Austragung politischer Konflikte vor sich gehen. Mit der Arbeitszeitrechnung und ihren Gleichheitsgrundsätzen wäre aber immerhin eine sinnvolle und rationale Ausgangsbasis für diese Aushandlung gegeben.
Freilich wäre eine solche Gesellschaft eine Gesellschaft, die sich weiterhin über Arbeit reproduzierte, was Julian Bierwirth und die Wertkritiker*innen sicherlich wenig erfreuen wird. Ist die Arbeit, die in einer solchen Gesellschaft verrichtet wird, aber noch wertschöpfende oder abstrakte Arbeit? Gegen Ersteres spricht, dass die Arbeit, wie oben zu zeigen versucht wurde, eben keine warenproduzierende Arbeit mehr ist. Durch die gesellschaftliche Planung wird die Güterproduktion entlang des tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarfs ausgerichtet. Es geht um eine Gebrauchswertökonomie. Ebenso wurde zu zeigen versucht, dass die Arbeitszertifikate kein Geld sind, keine eigene Wertgegenständlichkeit besitzen. In ihnen werden vor allem geleistete und konsumierbare Arbeit zueinander ins Verhältnis gesetzt. Natürlich ist ein gewisser stummer ökonomischer Zwang dabei zunächst weiterhin präsent, weil die eigene Arbeit den Anteil am Konsum bestimmt. Dieser kann aber bei steigender Produktivität durch die Überführung der Betriebe in öffentliche Betriebe Schritt für Schritt aufgeweicht werden. Nichtsdestotrotz wird die Gesellschaft – gerade mit Blick auf die Reproduktion, wo es gar nicht wünschenswert wäre, dass die zeitliche Auf- und Zuwendung pro Person abnimmt, sondern zunimmt – immer mit der Frage konfrontiert sein, wer welche Aufgaben übernimmt und hierfür sollte es eben transparente Verfahren geben. Wir glauben, dass die dezentrale Planwirtschaft auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung ein solches Verfahren ist. Die Wertkritik verschließt sich nicht nur in ihrem Beharren auf der reinen Kritik solchen Fragen gemeinhin ganz bewusst, sondern sie ist durch ihr eigenes begriffliches Vokabular auch tendenziell davon abgeschnitten, weil sie Arbeit, abstrakte Arbeit und Lohnarbeit in einen Topf wirft. Worüber müssen wir uns aber verständigen, wenn wir eine sozialistische Gesellschaft aktiv gestalten wollen?
Mit Blick auf die abstrakte Arbeit gestaltet sich die Frage etwas schwieriger, weil in ihr physiologische und konkret gesellschaftliche Bestimmungen miteinander verschmolzen sind. Würde man von einem Begriff abstrakter Arbeit ausgehen, wie er unter Wertkritiker*innen üblich ist, dann dürfte die Arbeit in der Arbeitszeitrechnung eigentlich gar keine abstrakte Arbeit sein. Denn wir haben schon anhand Robert Kurz’ Essay gesehen, dass für ihn abstrakte Arbeit notwendig warenproduzierende Arbeit ist und er daher auch von einer notwendigen Verdopplung der Ware in Ware und Geld ausgeht. Allerdings bleibt zu vermuten, dass sich die Wertkritiker*innen davon nicht überzeugen lassen, weil es eben um die Organisation der Arbeit überhaupt geht und dies schon das Problem sein soll. Doch unter Verwendung des Kurz’schen Gedanken ließe sich vielleicht Folgendes sagen: In vorkapitalistischen Gesellschaften, in denen die verschiedenen Tätigkeiten gesellschaftlich zersplittert und zudem in eigene ideologische Reproduktionslogiken eingebettet bleiben, bleibt der Begriff der Arbeit eine eher gedankliche Abstraktion, während sie durch ihre wertförmige Organisation unterm Kapital zur Realabstraktion wird. In einer sozialistischen Gesellschaft, wie sie von der GIK und uns ins Auge gefasst wird, würde die abstrakte Arbeit dagegen als ein konkretes Ganzes planmäßig organisiert werden, allerdings auf dezentraler Basis. Ob dies noch abstrakte Arbeit im Marxschen Sinne ist, diese Frage sei den gelehrten Interpreten des ersten Kapitels des Kapitals überlassen.
1 https://www.youtube.com/watch?v=dPTVMYHKz1g Stand vom 31.05.2023.
2 https://www.exit-online.org/link.php?tabelle=schwerpunkte&posnr=7 Stand vom 03.07.2023. Alle Zitationen aus dem Text sind dieser Onlineversion entnommen, weswegen auf weitere Fußnoten im Fortgang des Textes verzichtet wird.
3 So schreibt Marx: „Alle Arbeit (H.d.V.) ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert.“ MEW, Bd. 23. Berlin, 2008. S. 61.
4 Ebd. S. 85.
5 Ebd. S. 87.
6 Ebd. S. 85f.
7 Dockerill, Daniel: Wertkritischer Exorzismus statt Wertformkritik. Zu Robert Kurz’ „Abstrakte Arbeit und Sozialimus“. Norderstedt, 2014. S. 79ff. Leider krankt seine Abhandlung an demselben Hang zu fast selbstzweckhafter Polemik, an der auch zumeist die Text des von ihm gescholtenen Wertkritikers kranken. Die Texte werden dadurch nicht nur weniger genießbar, sondern auch der Zugang zum entscheidenden Inhalt erschwert, der unter all der Polemik erst einmal freigeschaufelt werden muss.
8 MEW, Bd. 42. Berlin, 2015. S. 38f.
9 Wobei natürlich sowohl in der griechischen wie hebräischen Antike immer schon auch ein allgemeiner Begriff von Arbeit als Mühsal und Qual vorhanden war, aber es war doch kein genuin ökonomischer Begriff, weswegen Aristoteles in seiner Politik dann auch nicht auf den Begriff der Arbeit gestoßen ist, als er nach dem allen Waren Kommensurablen forschte. Ein Fall von ganz eigener Art dürften sicherlich die von Marx unter dem Begriff asiatische Produktionsweise zusammengefassten Gesellschaftsformationen sein, in denen hochgradig kooperative Arbeit auf großer Stufenleiter von Staats wegen organisiert worden ist, um Bewässerungsanlagen, Paläste, Pyramiden und dergleichen zu errichten. Und waren nicht die ersten babylonischen Schriftzeichen Bestandslisten von staatlichen Lagerhäusern? Ob diese Produktionsweisen von einer (Vor-)Form abstrakter Arbeit gekennzeichnet und damit recht erfasst sind, kann an dieser Stelle aber nicht weiter diskutiert werden.
10 Dockerill: Wertkritischer Exorzismus. S. 89.
11 Dann würde sich vielleicht auch ein unter so manchen Wertkritiker*innen ebenso geläufiges wie hartnäckiges Vorurteil endlich in Luft auflösen, nach dem es dem Kapital völlig gleichgültig wäre, welche Gebrauchswerte es produziere. Für ein gegebenes Einzelkapital mag es sicherlich zutreffen, ob es sich zum Durchschnittsprofit verwertet, indem es Panzer oder Schuhe produziert, gesamtgesellschaftlich kommt der Gebrauchswert aber wieder in Betracht. So zeigt Marx im zweiten Band des Kapitals, dass immer eine gewisse Proportionalität zwischen den verschiedenen Produktarten, die entweder Produktionsmittel für die Industrie oder eben Konsumtionsmittel für die Endverbraucher*innen sind, gewährt sein muss. Diese proportionale Aufteilung wird im Kapitalismus „blind“ über den Marktmechanismus und die Profitraten geregelt, weswegen sie sich in zyklischen Phasen von Überangebot und Knappheit (Krisen) vollzieht – ganz von dem Umstand abgesehen, dass natürlich hier auch nur die zahlungskräftige Nachfrage berücksichtigt wird. Nichtsdestotrotz können nicht alle Kapitalisten dieser Erde nur Panzer herstellen – die stoffliche Arbeitsteilung und mit ihr die Gesellschaft würden sofort zusammenbrechen. Sicherlich zielte die Theorie des Gebrauchswerts von Wolfgang Pohrt noch auf etwas anderes ab, nämlich den Qualitätsverlust der Produkte, dem auch ein Verlust sinnlichen Erlebens korrespondiere. Und auch Robert Kurz hat in anderen Schriften immer wieder unter Beweis gestellt, dass er vom gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ausgehend denkt – seine Krisentheorie zielt ja auf nichts weniger ab. Doch zeigen gerade solche Missverständnisse recht deutlich, zu welch irreführenden Annahmen theoretische Richtungen gelangen können, die sich nur auf bestimmte Aspekte der Kritik der politischen Ökonomie beschränken und dabei den Gesamtzusammenhang aus den Augen verlieren.
12 Hegel, G.W.F.: Wissenschaft der Logik. In: Werke, Bd. 6. Frankfurt a.M., 1986. S. 68f.
13 Darauf hat denn auch Robert Kurz selber noch einmal nachdrücklich aufmerksam gemacht in seiner Auseinandersetzung mit Michael Heinrich. Vgl. Kurz, Robert: Geld ohne Wert: Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie. Berlin, 2021. S. 167 – 191.
14 Dies ist im Grunde auch dieselbe Kritik, welche die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft in Anknüpfung an die Situationisten gegen die Rätekommunisten vorbringen. Vgl. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft: Klasse, Krise Weltcommune. Hamburg, 2019. S. 48. Vielleicht hilft dieser Aufsatz auch dabei, die dort vorhandenen Missverständnisse einmal auszuräumen. Ihre Schrift ist mit Blick auf die dort getroffenen analytischen Aussagen über den krisenhaften Zustand der kapitalistischen Weltökonomie und die daraus resultierende Klassenlage durchaus treffend, aber hinsichtlich der „Weltcommune“ in gewohnter Weise erratisch. Wer jedoch davon ausgeht, gesellschaftliche Buchhaltung und betriebliche Kalkulation seien einfach kleinkarierte Pedanterie, der ist in Wahrheit kein Freigeist, sondern denkt ungemein primitiv.
15 Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland): Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung. Hamburg, 2020. S. 155.
16 https://communaut.org/de/wenn-das-baby-schreit-dann-moechte-man-doch-hingehen Stand vom 26.05.2023.
Initiative demokratische Arbeitszeitrechnung, 5. Juli 2023
Pdf-Fassung: LINK