Rezension: Hermann Lueer – Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung
Von Initiative demokratische Arbeitszeitrechnung (IDA), 6.2.2023
Das Buch Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung von Hermann Lueer erschien erstmals 2018 und ist ein werbender Kommentar zum gleichnamigen Buch der Gruppe internationaler Kommunisten (GIK). Lueer kommt ohnehin das Verdienst zu, die Schrift der GIK Über die Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung in der Version von 1935 in dem Verlag Red & Black Books herausgegeben zu haben. In dieser kleinen Begleitschrift, die im gleichen Verlag erschienen ist, will der Autor noch einmal die grundlegenden Thesen der GIK-Schrift pointiert zusammenfassen und dabei zugleich gängige ideologische Rechtfertigungsgründe für den Kapitalismus kritisieren sowie geläufige Einwände gegen eine sozialistische Produktionsweise zurückweisen. Der Anspruch des Autors ist es dabei „in freier Form die Kernaussagen der »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« in die aktuelle Debatte um die Frage nach der Alternative zum Kapitalismus einzubringen“ (S. 14). Denn der Originaltext – so wenig er auch an Aktualität eingebüßt habe – sei doch notwendig „Kind seiner Zeit geblieben“ (ebd.). Daher kommentiert der Autor weitgehend Originalzitate sowohl aus der GIK-Schrift als auch von Karl Marx (ein wichtiges Zitat wird schon gleich in der Einleitung genannt) und bringt diese in Verbindung mit den zeitgenössischen Fragen und Debatten, um auf diese Weise für die „Grundprinzipien“-Schrift und natürlich vor allem für eine kommunistische Alternative, jenseits des Staatssozialismus zu werben.
In diesem Sinne beginnt das Buch gewissermaßen mit einem ideologiekritischen Vorspiel, nämlich mit der Zurückweisung dreier bekannter Ideologeme, mit denen der Kapitalismus häufig gerechtfertigt wird: der selbstregulierenden Kräfte der Märkte („unsichtbare Hand“), dem technischen Fortschritt sowie seiner angeblichen Alternativlosigkeit. Schon hier zeigt der Autor, dass er dazu imstande ist, die Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne viele Worte zu verlieren. Den ersten Punkt („unsichtbare Hand des Marktes“) kritisiert er mit dem Hinweis darauf, dass es bei den kapitalistischen Märkten in erster Linie nicht darum gehe, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern eine zahlungskräftige Nachfrage zu bedienen und, dass die Marktwirtschaft daher auch nicht effizient sei. Effizienz würde nämlich „Optimierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag für alle Gesellschaftsmitglieder“ (S. 20) bedeuten, doch in der Marktwirtschaft bedeute Effizienz schließlich, dass die Lohnabhängigen „als Variable in eine fremde Kosten-Nutzen-Kalkulation“ (ebd.) eingingen. Beim zweiten Punkt macht Lueer darauf aufmerksam, dass der Kapitalismus nicht der unmittelbare Grund dafür sei, dass es technischen Fortschritt gebe, sondern es seien der „menschliche Verstand und die Arbeitsteilung“ (S. 24). Diese genuin menschlichen Potenzen würden lediglich in kapitalistischer Form „zum Zwecke der privaten Bereicherung der Produktionsmittelbesitzer“ (ebd.) ausgiebig genutzt, nicht aber vom Kapitalismus erzeugt. Den dritten Punkt behandelt der Autor vor allem mit Blick auf den Realsozialismus. Dessen Untergang hätte nämlich die Alternativlosigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsweise deutlich bewiesen. Dabei zitiert er vor allem den österreichischen Vordenker des Neoliberalismus Ludwig von Mises, der gegen die Ideen einer sozialistischen Naturalplanung auf der Notwendigkeit einer Recheneinheit, nämlich des Geldes, besteht. Lueer wirft hier im Sinne der GIK ein, dass ebenso die Arbeitszeit als gesamtwirtschaftliche Recheneinheit dienen könnte. Allerdings „belegt“ der Autor das lediglich dadurch, dass er dem Mises-Zitat einfach Zitate von Friedrich Engels und der GIK entgegensetzt. An dieser Stelle gewinnt man den Eindruck, dass es sich der Autor hier etwas leicht machen wollte. Die Rezensent*innen hätten sich jedenfalls gewünscht, dass Mises näher an seinen eigenen Aussagen und in eigenen Worten kritisiert worden wäre. Das hätte den Einwänden mehr Gewicht verliehen als sich bloß auf Zitate zu stützen, die sich gar nicht auf Mises beziehen. Auch in dem Abschnitt über den technischen Fortschritt hätte der Aspekt der Stoff-Form-Differenz von gesellschaftlicher Arbeitsteilung und ihrer kapitalistischen Organisationsform durchaus noch weiter ausgeführt werden können. Nicht immer erweist sich der knappe Stil des Autors als Vorteil.
Nach diesem Vorspiel beginnt der Hauptteil, der sich dann auch inhaltlich direkt auf die „Grundprinzipien“-Schrift bezieht. Mit der Forderung der „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ (S. 32) wird die wichtigste Voraussetzung der Arbeitszeitrechnung benannt, nämlich die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und damit auch die Aufhebung der Lohnarbeit als einer entfremdeten Form der Arbeit. Die Kritik der Lohnarbeit in leicht verständlichen Worten gelingt dem Autor hier wiederum ausgesprochen gut. Gefordert wird die Arbeitszeitrechnung auf der Basis des Gemeineigentums an Produktionsmitteln, sodass der Anteil der eigenen Arbeit an der Gesamtarbeit für alle Beteiligten durchsichtig ist und keine Mehrarbeit mehr durch Privateigentümer angeeignet werden kann. Dies ist dann auch Thema in dem darauf folgenden Kapitel „Der Verein freier Menschen“ (S. 38), in dem der Autor zurecht auf die wechselseitige Bedingtheit von Gemeineigentum an Produktionsmitteln und der Arbeitszeitrechnung aufmerksam macht. Denn nur durch letztere werden Transparenz und Gleichheit gewährleistet, während das bloße Faktum vergesellschafteter bzw. verstaatlichter Produktionsmittel ohne Arbeitszeitrechnung jederzeit auch autoritäre Kommandowirtschaft bedeuten könnte. Es fände dann lediglich ein Elitenaustausch statt.
Worum geht es nach Lueer nun bei der Arbeitszeitrechnung? Um eine gesamtgesellschaftliche Planung, die aber nach „gleichen ökonomischen Regeln“ (S.40) sowohl in der Produktion als auch in der Konsumtion funktioniert. Die Planungsinitiative haben die einzelnen Betriebe, die untereinander mit den Gütern die dafür aufgewendeten durchschnittlichen Arbeitsstunden austauschen. Ebenso können auch alle Konsument*innen die Arbeitszertifikate, die sie für ihre verausgabte Arbeit erhalten haben, frei gegen alle Konsumgüter eintauschen. Gesamtgesellschaftlich bedeutet dies mit Blick auf die Arbeitszertifikate, dass diese „inhaltlich nichts anderes“ sind, „als der Abgleich der in der gemeinsamen Planung vorweggenommenen Arbeitseinteilung. Über die Arbeitszeitrechnung löst sich die Verteilungsfrage somit in Produktionsplanung auf. Planung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges bedeutet schließlich nichts anderes, als die zur Bedürfnisbefriedigung erforderliche gesellschaftliche Arbeitszeit mit der Summe der zur Verfügung stehenden individuellen Arbeit zu verbinden“ (S. 41).
Dieser in dem längeren Zitat dargestellten und nach unserer Ansicht sehr richtigen und wichtigen wirtschaftstheoretischen Einsicht entsprechend, kommt der Autor dann in dem nächsten Abschnitt „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ (S. 50) noch einmal darauf zurück. In diesem Abschnitt geht es nämlich um den Faktor individueller Konsum (FIK), durch den geregelt ist, wie hoch der Anteil der öffentlichen Güter und Dienstleistungen ist, die frei verfügbar sind. Die dafür aufgewendeten Stunden müssen nämlich von der Gesamtstundenzahl abgezogen und mit ihr verrechnet werden. Unter dem Prinzip „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ vermindert sich so der individuelle Konsum zugunsten des öffentlichen Sektors, in dem alle Leistungen ohne Gegenleistungen bezogen werden können. Perspektivisch könnte man nach Lueer sehr schnell große Teile der Konsumtionsmittelproduktion und des sozialen Dienstleistungsbereiches in den öffentlichen Sektor überführen. Doch selbst eine vollständige Überführung der Produktion in öffentliche Betriebe würde nicht bedeuten, dass man ohne Arbeitszeitrechnung auskäme. Diese sei schon deswegen vonnöten, weil sie als „ökonomisches Maß“ (S. 52) diene. Es geht dabei also weniger um Leistungszwang – ein Einwand, der von Kritikern der Arbeitszeitrechnung gerne wiederholt wird – sondern vor allem auch um rationale Organisation und den in dem obigen Zitat genannten gesamtwirtschaftlichen „Abgleich“. Dies noch einmal betont und festgehalten zu haben, ist einer der großen Leistungen des Lueerschen Kommentars.
Unter dem Stichwort „Jeder nach seinen Fähigkeiten“ (S. 56) wird dann ein anderer wichtiger Grundsatz der Arbeitszeitrechnung behandelt, nämlich das Prinzip, dass jede Stunde gleich zählen soll. Zurückgewiesen wird der beliebte Einwand, dass komplizierte Arbeiten höher vergütet werden müssten, da mehr Geld und Zeit in die höhere Qualifikation investiert worden sei und, dass eine Gleichstellung aller Tätigkeiten eine Entwertung der komplizierten Arbeiten bewirken würde, mit dem Argument, dass in einer sozialistischen Gesellschaft alle Kosten für die Ausbildung von der Gesellschaft getragen würden, weswegen es wenig Sinn machen würde noch von „höheren Produktionskosten“ (S. 59) der Arbeitskraft zu sprechen. Hier kommt er auch auf die unangenehmen Arbeiten zu sprechen, die – in dem Falle, dass niemand sie erledigen wolle – stärker gewichtet werden müssten. Das bedeute Verteilung der unangenehmen Aufgaben auf möglichst viele, damit die Einzelnen weniger Zeit mit diesen Aufgaben verbringen müssen (S. 62). Der Autor fasst hier zumindest langfristig eine Aufweichung der starren, durch den Kapitalismus strukturierten Arbeitsteilung und ihrer Hierarchien ins Auge. Da dieser Punkt äußerst wichtig ist, hätte er von dem Autor etwas weiter ausgeführt werden können, zumal hier Themen behandelt werden, die von der GIK unterbelichtet geblieben oder, die – wie die unterschiedliche Gewichtung unangenehmer Arbeiten – gar nicht behandelt worden sind.
Mit der Losung „Die »Diktatur« der öffentlichen Buchführung“ (S. 64) wird dann schließlich die inhaltliche Darstellung der Arbeitszeitrechnung und ihrer Grundprinzipien abgeschlossen. Hier werden auch erstmals die Räte als die entscheidenden administrativen Organe erwähnt. Übergeordnete staatliche Strukturen lehnt der Autor in Einklang mit der GIK ab. Jeder Betrieb soll basisdemokratisch in Räten organisiert sein und von den Arbeiter*innen selbst verwaltet werden. Die öffentliche Buchhaltung übernimmt dabei eine gesamtgesellschaftliche Kontrollfunktion, da sie die Pläne der jeweiligen Betriebe genehmigt oder ablehnt. Ausschlaggebend hierfür seien aber rein sachlich-ökonomische Fragen (wie Unterproduktivität, mangelnder Bedarf etc.). Hermann Lueer hat hier eine entschieden antipolitische Stoßrichtung, was zunächst sympathisch ist, da er ja auch mit der GIK zeigen will, dass Planwirtschaft ohne zentrale staatliche Lenkung auskommen kann. Doch mit Blick auf betriebsübergreifende und überregionale Entscheidungen hinterlassen seine eigenen Überlegungen eine Leerstelle, die merkwürdigerweise dann durch Expertengremien aufgefüllt wird. So schreibt er: „Konzeptionelle Überlegungen, beispielsweise im Bereich Verkehr, Energieversorgung, Landwirtschaft, Umwelt, Medizin, Ausbildung etc. müssen hierfür von Fachabteilungen der zentralen Planungsorganisation sachlich ausgearbeitet und nach ausführlicher gesellschaftlicher Diskussion der Bevölkerung zur Entscheidung vorgelegt werden“ (S. 65). Sicherlich wird die wohlwollende Leser*in schon verstehen, wie das gemeint ist, doch hat die Formulierung einen etwas faden Beigeschmack. Das liegt mitunter daran, dass zunächst so getan wird als könne man auf politische Superstrukturen gänzlich verzichten, dann aber klar wird, dass bestimmte Aufgaben und Grundsatzfragen, die die Gesamtgesellschaft betreffen, auch auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene behandelt werden müssen. Es klingt ein wenig so, als wolle oder dürfe man Staat nicht sagen, weshalb man nun „Fachabteilungen“ sagt. Was es genau mit diesen Abteilungen auf sich hat, bleibt einigermaßen im Dunkeln. Solche Vagheit hat natürlich auch ihre Vorzüge: Sie macht weniger abstrakte Vorgaben, denn schließlich sollen die Menschen ja selber ihre politischen Organe und Gremien schaffen und wer vermag schon zu sagen, wie das genau abläuft? Doch hinsichtlich dieser politischen Fragen wird man oftmals den Eindruck nicht los, dass davon ausgegangen wird, die rein ökonomische Organisation der Gesellschaft auf der Basis von Betriebsräten und Arbeitszeitrechnung sei hinreichend. Für dieses Defizit ist in erster Linie übrigens nicht Hermann Lueer verantwortlich, sondern schon die Schrift der GIK, deren Idee von einem „Allgemeinen Rätekongress“ ebenfalls weitgehend unterbestimmt bleibt.
Das hat natürlich vor allem auch gewichtige historische Gründe. Schließlich entstand die Grundprinzipienschrift damals in expliziter Abgrenzung von den markt- und staatssozialistischen Konzeptionen der Sozialdemokraten einerseits und der Bolschewiki andererseits. Gerade die Entwicklungen in der Sowjetunion in der Zeit des Bürgerkriegs und danach, als die zentrale staatliche Lenkung auf der Grundlage einer monetären Buchführung immer weiter ausgebaut wurde und die Kommunistische Partei die unbeschränkte Kontrolle über den Staatsapparat gewann, bildeten das große Negativbeispiel für eine gescheiterte soziale Revolution im Interesse der Werktätigen, an dem sich die GIK abarbeitete. Diese Entwicklungen werden auch von dem Autor nochmals im letzten Kapitel „Das Elend des Realsozialismus“ (S. 69) bündig zusammengefasst. Dieser Exkurs am Ende scheint zunächst seinem Anspruch zu widersprechen, die „Grundprinzipien“ zu aktualisieren. Schließlich hatte er ja in der Einleitung gesagt, die GIK sei zu sehr „Kind ihrer Zeit geblieben“ (s.o.). Warum also nun doch die alten Debatten? Nun sicherlich wird nicht die unwichtigste Antwort darauf lauten, dass mit der kommunistischen Produktion und Verteilung, wie sie hier ins Auge gefasst wird, eben nicht ein Wiederaufguss des ineffizienten und autoritären Kasernensozialismus gemeint ist. Doch dann hätte die Kritik auch – wie schon in der GIK-Schrift – an den Anfang des Buches gestellt werden können. Das Ganze am Ende des Buches zu thematisieren hätte vor allem dann Sinn gemacht, wenn man sich von dem Originaltext mehr abgelöst und das Problem der politischen Organisation der sozialistischen Produktionsweise, wie es sich ja in dem Kapitel über die Diktatur der öffentlichen Buchführung bereits andeutete, eingehender behandelt hätte. Denn diesen unangenehmen Fragen, die alle mit dem Verständnis von Form und Funktion staatlicher Gewalt im Kapitalismus zu tun haben, wird eine rätekommunistische Bewegung – sollte sie denn einmal entstehen – gerade im Hinblick auf eine Strategie des revolutionären Übergangs und das „Absterben des Staates“ (Engels) langfristig nicht ausweichen können.
Geht man diesen Fragen aus dem Weg, dann wird man am Ende nicht viel mehr sagen können, als dass eine „erfolgreiche soziale Revolution“ die „klare Einsicht darüber“ erfordere, „was mit den Produktionsmittel anzufangen“ sei und, dass „die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am Produkt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit die höchste Forderung“ sei, „welche das Proletariat stellen“ könne (S. 82f.). Diese Aussagen sind der Sache nach natürlich richtig, doch allein verbleiben sie zu sehr im Allgemeinen und haben dadurch etwas formelhaftes. Das wird scheinbar auch von dem Autor gespürt und darum wird in dem Buch dem Schlusswort noch ein Epilog angehängt, der in eigenen Worten noch einmal die Kernthesen des Kommunistischen Manifests von 1848 sinngemäß zusammenfasst. Ungeachtet aller Genialität und Weitsichtigkeit, mit der das Manifest damals von Marx und Engels verfasst worden ist, wirkt doch der Wiederaufguss dieser Schrift am Ende etwas befremdlich, zumal dann ganz zum Schluss vom Originaltext doch abgewichen wird, um im Anschluss an Max Horkheimers Theorie des autoritären Staates vor der immer währenden Bedrohung des Faschismus zu warnen. So gewinnt man den Eindruck, der Autor stimme zunächst der Prognose aus dem Manifest zu, dass die fortschreitende Vergesellschaftung bei gleichzeitig wachsender Verelendung der arbeitenden Bevölkerung unweigerlich zu einer sozialen Revolution führen werde, möchte aber sogleich auch der drohenden Möglichkeit des Faschismus gewahr sein. Hier hat man dann erst Recht das Gefühl, der Autor selber habe die Zeit, in der die „Grundprinzipien“ verfasst wurden, eher vor Augen als die Gegenwart. Zwar war es lediglich der Anspruch Hermann Lueers gewesen, den Inhalt des Buches zu aktualisieren – und das ist ihm auch über weite Strecken gelungen –, doch zeigen gerade seine Wendungen am Ende des Buches, dass eine aktuelle Analyse der gegenwärtigen Situation, die sowohl krisentheoretisch als auch arbeits- und klassensoziologisch fundiert sein müsste, sowie daran anknüpfende strategische Überlegungen zur Umsetzung der Arbeitszeitrechnung auf Basis des Gemeineigentums an Produktionsmitteln unumgänglich sind.
So scheint es – zumindest aktuell – unwahrscheinlich zu sein, dass in einer großen proletarischen Revolution die Schlüsselindustrien vergesellschaftet werden und die Arbeitszeitrechnung mit einem Male zum regelnden Prinzip des gesamten globalen Güterverkehrs werden wird. Vermutlich wird eine arbeitszeitbasierte Ökonomie viel eher zunächst im Kleinen wachsen, sich nur langsam ausbreiten und erst einmal mit der Marktwirtschaft koexistieren. Sozialistische Betriebe könnten dabei ihre Produktionsmittel aus dem kapitalistischen Güterkreislauf beziehen, wobei dann Stundenzertifikate in Geld umgerechnet werden müssten. Erst wenn die Arbeitszeitökonomie eine gewisse überregionale Ausdehnung erfahren hat und sie ihre ökonomischen wie sozialen Vorzüge praktisch erweisen konnte, könnte sie auch für weitere Bevölkerungsteile attraktiver werden, vor allem, wenn durch den fortlaufenden kapitalistischen Krisenprozess Märkte und politische Strukturen kollabieren und weite Teile der Lohnabhängigen sich nicht mehr auf kapitalistischer Basis reproduzieren können. Dann wäre eine bereits existierende Arbeitszeitökonomie eine realistische Alternative und es könnte vielleicht eine Bewegung entstehen, die sich für eine umfassendere Vergesellschaftung kapitalistischer Betriebe und deren Integration in eine solche Ökonomie einsetzt.
Allerdings können solche bruchstückhaften Vorüberlegungen, wie sie hier angestellt wurden, nicht die geforderte theoretisch-strategische Auseinandersetzung und Debatte vorwegnehmen und wir wollen es auch keineswegs Hermann Lueer zum Vorwurf machen, dass er diese Auseinandersetzung in seinem Buch nicht leistet. Doch gerade mit Blick auf den Epilog seines Buches sehen wir dort einen großen blinden Fleck in der Debatte um die Arbeitszeitrechnung, den es in den kommenden Jahren theoretisch wie praktisch zu beseitigen gilt. Wir betrachten die von Hermann Lueer maßgeblich veranlasste Neuauflage der Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung sowie seinen bündigen Kommentar dazu als einen gelungenen Auftakt. Gerade für junge oder neu Interessierte bietet dieses Buch eine sehr eingängige Einführung in die doch sehr komplexe Thematik und liefert viele gute Argumente für die Arbeitszeitrechnung. Außerdem versammelt das Buch auf engem Raum die wichtigsten und treffendsten Zitate von Marx und Engels sowie der GIK zur diesem Thema. Es würde sich daher sicherlich auch gut als Einstiegs- oder Begleitlektüre für selbstorganisierte Lesekreise o.ä. anbieten. In diesem Sinne sei dies Buch den Leser*innen anempfohlen.
Hermann Lueer: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung. Red & Black Books 2018, 102 Seiten.