Wir waren im Oktober auf der „Vergesellschaftungskonferenz“ in Berlin. Hier ist unser Bericht.
Von Initiative demokratische Arbeitszeitrechnung (IDA), 14.11.2022
Es begann auf der Auftaktveranstaltung, auf der zunächst Vertreter*innen der drei großen Initiativen DeutscheWohnen&Co. enteignen (im Weiteren kurz DWe), Hamburg enteignet und RWE&Co enteignen vorsprechen durften: DWe sei ein voller Erfolg. Ihre Initiative habe das Thema Enteignung und Vergesellschaftung wieder aufs Tableau gebracht, 59 Prozent der Berliner*innen sind für die Enteignung der großen Immobiliengesellschaften. Jetzt käme es darauf an, den politischen Willen der Menschen zu verwirklichen.1 Und: „Die Akteure der Vergesellschaftung sitzen hier!“ Von da an versäumte es kaum ein Beitrag auf den Erfolg der Initiative hinzuweisen. Es war das große Lippenbekenntnis aller, die an der dreitägigen Konferenz mit dem Titel „Vergesellschaftung – Strategien für eine demokratische Wirtschaft“ vom 07. bis zum 09. Oktober an der Technischen Universität (TU) Berlin teilnahmen. Etwa 1.400 Personen sollen es nach Angaben der Veranstalter insgesamt gewesen sein. Diese Zahlen mögen alle beachtlich sein. Dass das Thema Enteignung überhaupt wieder Wellen schlagen kann – gerade in einem Land wie Deutschland, in dem im herrschenden politischen Diskurs Enteignung, DDR und Satanismus dasselbe meinen – ist wohl tatsächlich die große Leistung des Referendums von 2021 und der Mobilisierung dafür gewesen. Aber müsste man den Erfolg einer politischen Initiative nicht an dem Ziel messen, das sie zu erreichen vorgibt? Sind denn DeutscheWohnen und Konsorten enteignet und in kommunales Eigentum, oder wie es in dem Volksbegehren gefordert wurde, in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt worden? Solche Fragen hätten auf einer „Strategiekonferenz“, wie sie von den Veranstaltern selber betitelt wurde, eingehender diskutiert werden müssen.
Aber Aktivist*innen und Strateg*innen denken anders als die 59 Prozent, die die Enteignung der großen Berliner Immobilienkonzerne irgendwie gut fanden, weil sie alle Stress mit Wohnungssuche, Mieterhöhungen und Kündigungen haben oder ganz einfach, weil ihnen das ganze AirBnB-Pack in der Stadt auf den Wecker geht. Man weiß ja nicht einmal genau, weshalb sie dafür gestimmt haben. Das ist das große Problem bei anonymen Abstimmungen in der repräsentativen Demokratie. Für Aktivist*innen und Strateg*innen misst sich der Erfolg einer Initiative oder Kampagne aber ganz anders, nämlich an der Masse der Menschen, die man zu mobilisieren imstande war. In diesem Sinne formulierte es Isabella Rogner von DWe recht prägnant, als sie sagte, man hätte ja von Anfang an gewusst, dass der Berliner Senat dem Volksbegehren nicht nachkommen und das ganze mit juristischen Verfahren lahmzulegen versuche, doch man werde weiterkämpfen und neue Kampagnen seien schon in Vorbereitung. Die Strategie von DWe besteht also darin, weiter zu mobilisieren und Rabbatz zu machen bis der Druck seitens der Bevölkerung so groß geworden ist, dass der Senat in die Knie gezwungen wird. Damit war die Frage im Grunde erledigt, noch bevor sie aus kritischem Anlass aus dem Publikum selbst gestellt werden konnte.
Doch tauchen hierbei mit Blick auf eine allgemeine „Vergesellschaftung“ nicht zwei grundsätzliche strategische Probleme auf? Erstens: Ist dies eine verallgemeinerbare Strategie? Würde dies nicht bedeuten, dass man im Grunde für jeden einzelnen Konzern eine Initiative „VW enteignen“, „ALDI enteignen“ etc. ins Leben rufen und jedes mal die entsprechende Mobilisierungsmasse auf die Straße bringen müsste? Und zweitens: wären bei einer allgemeinen Vergesellschaftung – die, wie es die Journalistin Laura Meschede auf dem Abschlusspanel mit Blick auf die Eigentumsfrage endlich einmal aussprach, nur kommunistisch sein kann – nicht Zweck und Mittel identisch, in dem Sinne, dass eine solche Vergesellschaftung auch nur von der Gesellschaft vorgenommen werden kann und nicht durch den Staat?
Zum ersten Punkt: Gerade die Gründung einer Initiative wie RWE&Co enteignen scheint nahezulegen, dass man das „Erfolgsmodell“ DWe einfach kopieren möchte. Es wurde zwar in Beiträgen auf dem Abschlusspanel etwa von Julia Dück durchaus bezweifelt, dass sich das Modell auf andere Kämpfe übertragen ließe, oder dass sich die verschiedenen sozialen Kämpfe überhaupt unter dem Stichwort Vergesellschaftung einfach miteinander verbinden könnten, doch allzu wenig wurde das Augenmerk auf die homogene Form dieses politisch-strategischen Denkens selbst gelegt. Nur allzu sichtbar würde dadurch, dass die ganze politische Rhetorik durchzogen ist von dem Jargon des Event- und Kampagnenmanagments, so als gäbe es zwischen Wahlkampf, Marketing und einer wirklichen sozialen Bewegung keine Unterschiede mehr. Das zeigt sich an Kleinigkeiten, wie etwa dem alljährlichen Gerede vom „heißen Herbst“, einem griffigen Werbeslogan, der keine andere Funktion besitzt als das eigene Klüngel bei Laune zu halten, ebenso wie an der ewig großen Frage: „Wie erreichen wir die Leute?“ An dieser Frage erkennt man immer, dass Aktivist*innen unter sich sind, und dass sie sich in erster Linie als Aktivist*innen betrachten, also als eine von der Gesellschaft getrennt existierende Gruppe oder zumindest als eine besondere gesellschaftliche Gruppe und nicht als das, was sie tatsächlich sind: ein tätiger Teil der bestehenden Gesellschaft, Schüler, Studierende, Berufstätige, Arbeitende und damit zugehörig zu verschiedenen gesellschaftlichen Klassen und unterschiedlichen Generationen (ein Punkt, der immerhin bei Fridays for Future eine tragende Rolle spielte). Doch als solche – so der Eindruck – können sich Aktivist*innen nur in seltenen Fällen selber wahrnehmen. Ganz frappierend war in dieser Hinsicht das Statement der Ökonomin Elena Hofferberth in dem Panel „Planen gegen die Klimakrise“: „Wir sind doch alle Konsumenten und politische Subjekte“. Offenbar fällt es nicht Wenigen schwer sich selber noch als produktive Arbeiter*innen zu sehen. Daher war es dann auch nicht verwunderlich, dass in Hofferberths vorgestelltem Konzept einer makroökonomischen Koordination, bei der in einer gesamtgesellschaftlichen Planung die Verteilung von Ressourcen und Arbeit entlang von im Vorfeld ausgehandelten ökologischen und sozialen Zielen organisiert werden soll, die Produzent*innen überhaupt nicht vorkamen. Stattdessen sollen Expertengremien übergreifend an einer irgendwie demokratischen Planerstellung mitwirken. Wer sind denn aber die Expert*innen für die Produktionsprozesse der verschiedenen Güter, wenn nicht die Produzent*innen selbst? Nur die in den Betrieben vor Ort Arbeitenden können auch tatsächlich sinnvoll und realistisch aufgrund ihrer Erfahrung Input- und Outputmengen ihres Betriebes bestimmen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Länge des Arbeitstages ein verträgliches Maß besitzt, Arbeitsschutz und Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden etc. und somit verhindern, dass kein neues expertokratisches Ausbeutungsregime entsteht. Die Demokratie muss in den Betrieben stattfinden (Räte), nicht über ihnen, aber natürlich ist es immer leicht von Verteilung zu reden, wenn man selber diejenige Instanz ist, die verteilt und man nicht bloß zugeteilt wird oder zugeteilt bekommt.
In solchen Äußerungen drückt sich klar die Entfremdung von geistiger und körperlicher Arbeit, von Expert*innen und Produzent*innen aus und letztlich auch der quasi-akademische Charakter der Konferenz. Viele Aktivist*innen sind heute Gymnasialschüler und Studierende, d.h. sie entstammen mehrheitlich den Mittelklassen und verrichten größtenteils geistige Arbeit, auch wenn ihnen das gemeinhin unangenehm ist, weswegen auch die hiesige Auftaktveranstaltung nicht darum herumkam einen Seitenhieb gegen den „Elfenbeinturm“ auszuteilen. Doch solche Polemik will die eigene Stellung im Reproduktionsprozess der Gesellschaft eher verleugnen als kritisch zu reflektieren. So nimmt es denn auch wenig Wunder, dass die Aktivist*in von heute morgen schon – wenn es mit der akademischen Karriere nichts werden sollte – in irgendwelchen Parteigremien oder in Gewerkschafts- oder NGO-Büros sitzt und an eben der Welt mitwirkt, gegen die man einst gekämpft hat. Welche Arbeitgeber hätte man auch sonst? Genau diese prekäre gesellschaftliche Stellung dürfte in vielen Fällen dafür verantwortlich sein, dass so viele Aktivist*innen die Erfahrungen, die sie in ihrem übrigen Lebenszusammenhang machen, ebenso wenig wie ihre dort erworbenen Fähigkeiten kaum in die politische Tätigkeit miteinbeziehen. Dort wo sie Aktivist*innen sind, sind sie nicht Schüler, Studierende oder Berufstätige und dort, wo sie Schüler, Studierende, Berufstätige sind, sind sie nicht politisch: Dem korrespondiert dann auch der Wunsch, den eigenen Aktivismus zum Beruf zu machen, womit der Kreis geschlossen wäre und man tatsächlich in einem selbstgenügsamen Aktivistenelfenbeinturm lebt, wie es denn auch auf dem gemeinsamen Gruppenfoto vor der TU am Ende der Konferenz schlagend zum Ausdruck kommt. Dem Ganzen liegt aber eine sehr viel fundamentalere Entfremdung zugrunde, die in kapitalistischen Gesellschaften dem politischen Engagement als solchem zukommt.
Dies führt uns zu dem zweiten Punkt, nämlich der Frage nach dem Zweck und den Akteuren der Vergesellschaftung: Die Enteignung und Vergesellschaftung der Masse der Menschen ist das grundsätzliche Merkmal der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Dies wurde auch von mehreren Referent*innen wie Bini Adamczak oder Alex Demirovic hervorgehoben. Es ist das Kapital, das die Menschen von den Bedingungen ihrer gesellschaftlichen (Re-)Produktion, von den Mitteln der Produktion enteignet und sie damit auf den Status von Lohnabhängigen reduziert und sie über die Form des Geldes auf eine anonyme und abstrakte Weise vergesellschaftet – ein Punkt, der von Adamczak klarer hätte herausgestellt werden müssen, da sie zwar die Trennung in der Vergesellschaftung betont, ohne aber das Verbindende in dieser Trennung, die Geldform, zu erwähnen. Und es ist der bürgerlich-autoritäre Staat, der die Menschen von den Bedingungen, ihre politischen Ziele zu verwirklichen, im weiten Sinne von den Gewaltmitteln, enteignet und diese monopolisiert. In dieser Hinsicht sind die Menschen vor allem durch staatlichen Zwang (Familie, Schule, Polizei und Justiz) vergesellschaftet. Sie dürfen zwar, sofern die bürgerlichen Freiheiten noch etwas gelten, ihre Kritik äußern, aber dies bleibt meist folgenlos, da die einzigen Mittel, ihrem politischen Willen Nachdruck zu verleihen in der Demonstration, Petition und Akklamation bestehen. Auf diese Weise verwandeln sich die Menschen von Produzent*innen eines Betriebes – sobald sie gegenüber dem Staat auftreten – in eine amorphe Masse. Die gesellschaftlichen Konflikte werden durch juristische Verfahren formalisiert und neutralisiert, während Zwang und Gewalt seitens des Staates immer dort geltend gemacht werden, wo manifeste Kapitalinteressen walten. Weil die Menschen aller Gestaltungsmittel beraubt sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihren politischen Willen kundzutun, statt ihn umzusetzen. Dies ist die strukturelle Ohnmacht, die dem politischen Engagement von vornherein eingeschrieben ist und die immer auch ihren Schatten über Initiativen wie DWe wirft. Wir behaupten nicht, dass das von den Akteuren der DWe nicht registriert werden würde; noch würden wir solche Ohnmacht als Verschulden der Akteure betrachten. Doch wird es problematisch, wenn die Selbstkritik ausbleibt und man sich als Erfolg lediglich die gelungene Mobilisierung gutschreibt. Dann liefert man sich dem Verdacht aus, dass man die gängigen Spielregeln akzeptiert hat und Mehrheiten und Medienwirksamkeit wichtiger sind als das eigentliche Ziel. Revolutionen werden, by the way, niemals von Mehrheiten durchgeführt. In diesem Sinne richtet sich unsere Kritik auch nicht gegen strategisches Denken überhaupt, sondern gegen die mangelnde theoretische Durchdringung der Strategie.
Dies kam auf der Konferenz nirgends deutlicher zum Ausdruck als an den mangelhaften Vorstellungen von Vergesellschaftung, die dort kursierten. Nicht wenige beteuerten, dass mit Vergesellschaftung etwas ganz anderes gemeint sei als Verstaatlichung. So sind Statements, wie etwa die von Jonna Klick in dem Panel „Aktuelle Ansätze progressiver Ökonomie im Gespräch zur Demokratisierung von Wirtschaft“, dass mit dem Staat als „ideellem Gesamtkapitalisten“ nichts zu gewinnen sei, durchaus zu begrüßen. Aber wenn nicht – wie bei Klick – ein recht unspezifischer Commons-Ansatz hinter der Staatskritik zu finden war, konnte man sich doch kaum des Verdachts erwehren, dass unter Vergesellschaftung etwas anderes verstanden worden wäre als – die Verstaatlichung. Dabei helfen auch keine Wortspielchen wie sie von Silke van Dyk und Robin Celikates vorgetragen wurden, dass man das Öffentliche und Politische nicht mehr als das Staatliche begreifen dürfe. Ähnlich verwirrend hieß es dann auch auf dem Freitagabendpanel „Demokratische Wirtschaft – eine alternative politische Ökonomie nach der Vergesellschaftung“, dass man den Begriff der Vergesellschaftung nicht auf die Eigentumsfrage einengen dürfe. (Dass dann z.B. auch Platzbesetzungen kurzerhand zu Vergesellschaftungen werden, erlebte man dann wohl auch als Verheißung statt als Problem.) Mit Blick auf eine kommunistische Gesellschaft, mögen diese Unterscheidungen von Politischem und Staatlichem formal zwar richtig sein (etwa hinsichtlich einer notwendigen öffentlichen, nicht-staatliche, Buchführung), doch bleibt man der Antwort auf die Frage schuldig, wie denn die Vergesellschaftung nun konkret zu fassen sei? Offenbar saßen die Akteure der Vergesellschaftung doch nicht auf den Bänken der Hörsäle. Enttäuschend war in diesem Zusammenhang der Umstand, dass zwar die Idee der Rätedemokratie hier und da noch bemüht wurde, aber die Idee der Arbeiterselbstverwaltung überhaupt keine Rolle spielte. Eine löbliche Ausnahme bildete hierbei die Historikerin Gisela Notz, die sich allerdings mehr auf die anarchistische Tradition der „freien Vereinbarung“ (G. Landauer) berief, die wenig befriedigende Auskunft darüber gibt, inwiefern ein überbetrieblicher gesamtwirtschaftlicher Zusammenhang hergestellt werden sollte – derselbe Makel, von dem in vielen Fällen auch alle Ansätze des „Commonismus“ behaftet sind. Doch wurden von Notz die Akteure der Vergesellschaftung immerhin einmal erwähnt, nämlich die Arbeiter*innen, die ihre betriebliche Arbeit selber organisieren müssen. In dem gleichen Panel („Alte und neue Formen kollektiven Eigentums“) meldete sich dann auch eine erbitterte Genossin aus dem ostdeutschen Landwirtschaftskollektiv Ackersyndikat in einem leidenschaftlichen Beitrag zu Wort. Sie erinnerte nicht nur an die Schweinereien, die mit der Enteignung der VEBs und LPGs durch die Treuhandanstalt in Gang gekommen sind, und die den Ausverkauf der Erfahrungen eines ganzen Volkes bedeuteten und deren politische Konsequenzen in den neuen Bundesländern bis heute spürbar seien, sondern machte auch aus Sicht der Agrarproduzent*innen darauf aufmerksam, dass es ohne diese keine Vergesellschaftung geben könne. In diesem Zusammenhang bemängelte sie auch ganz zu Recht, dass die ostdeutsche Perspektive auf der Konferenz völlig fehle – und dies, obwohl gerade die ehemaligen Bürger*innen der DDR sehr konkrete Erfahrungen mit Vergesellschaftung bereits gemacht hätten. So wäre es nach unserer Ansicht tatsächlich interessant gewesen, wenn man nicht nur Erfahrungen aus dem betrieblichen Alltag der DDR-Betriebe gesammelt, sondern vielleicht auch ehemalige Mitarbeiter der DDR-Planstellen eingeladen hätte, um die Mängel einer staatlich gelenkten Planwirtschaft zu erörtern.
Aber diese ganze Thematik musste schon allein deswegen unterbelichtet bleiben, weil die Veranstalter der Konferenz ja vor allem Wohnraum und Energieversorgung vergesellschaften wollen – es soll also der Bereich der Konsument*innen vergesellschaftet werden, während der ganze Bereich der Produktion wohl irgendwelchen Expertengremien überlassen bleiben wird. Die Vagheit dieser Ideen nimmt auch nicht dadurch ab, dass man alle Bereiche „demokratisieren“ möchte. Diese „Demokratisierung“ war das zweite große Signalwort der Konferenz, blieb aber leider genauso inhaltsleer wie die Vorstellung von Vergesellschaftung selbst. Doch steht zu befürchten, dass in so einer vollends demokratisierten Gesellschaft am Ende alle überall „partizipieren“ dürfen, während Expert*innen dann das letzte Wort haben. Sich eine Welt vorzustellen, die anders ist als die, die man kennt, ist wahrlich schwer. Aber genau darum ist Theorie unerlässlich: Nur ein Konzept von Vergesellschaftung, das sich von der Idee der Selbstorganisation der Produzent*innen leiten lässt, vermeidet, dass Vergesellschaftung zu einem marketingstrategischen Schlagwort verkommt, hinter dem immer schon die Verstaatlichung – und damit die fortgesetzte Enteignung der Produzent*innen – lauert. Nur dann sind wir mehr als „Konsumenten und politische Subjekte“, nämlich gesellschaftlich-tätige, produzierende und damit auch das wirtschaftliche Geschehen direkt gestaltende Akteure. Nur so verliert die Ökonomie die Kraft einer fremden Gewalt.
Mit Blick auf eine kommunistische Vergesellschaftung betonen wir vor allem die Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Arbeitszeitrechnung, wie sie von der Gruppe Internationaler Kommunisten erstmals entwickelt wurde. Diese erlaubt es, dezentrale betriebliche Planungsautonomie und gesamtwirtschaftliche Regulation mittels arbeitszeitbasierter Rechnungsführung miteinander in Einklang zu bringen, jenseits staatlicher Bevormundung und der unbewusst-entfremdeten Form der Vergesellschaftung durch das Geld. Nur auf diesem Wege können Ressourcen (Arbeitskräfte, Rohstoffe, Maschinen) durch zwischenbetriebliche Absprachen allokiert und Arbeits- und Gütermengen gesamtgesellschaftlich ausgetauscht und ins Verhältnis gesetzt und gleichzeitig individuelle Freiheit in der Arbeitswahl und im Konsumverhalten weiterhin ermöglicht werden.
Eine wie auch immer geartete Idee der Arbeitszeitrechnung fehlte auf der Konferenz jedoch fast völlig. Das Thema wurde entweder nur in Nebensätzen angerissen oder es wurde auf Nachfrage beteuert, dass man dem durchaus aufgeschlossen gegenüberstehe, aber man noch in den Anfängen stecke. In den meisten Fällen begegnete man jedoch ratlosem Schulterzucken. Selbst in vielversprechenden Konzepten, etwa der Idee einer „demokratischen Planwirtschaft“ von Jakob Heyer, der sich durchaus als Marxist versteht, oder dem Konzept einer commonsbasierten „Beitragsökonomie“, die an den Bedürfnissen der Akteure ausgerichtet sein soll, wie es von Simon Sutterlütti vorgestellt wurde, hinterließen immer dann eine große Lücke, wenn es um die innere Gliederung und Regulation solcher Ökonomien gehen sollte. Auf dem Panel „Vergesellschaftung und was dann? – Einblicke in eine neue Debatte um Möglichkeiten demokratischer Planung“ erwogen Christoph Sorg und Heide Lutosch immerhin die Notwendigkeit eines allgemeinen Maßes auch in einer nachkapitalistischen Ökonomie, wussten jedoch wenig mehr darüber zu sagen. Zu unserer großen Erleichterung rief daraufhin ein Teilnehmer aus dem Publikum laut und entnervt aus: „Arbeitszeit…et is doch soo klar, et is die Arbeitszeit!“ Nun, der Unbekannte möge sich hier melden. Wir laden ihn, wie auch alle anderen, dazu ein, mit uns ein konkretes Konzept einer kommunistischen Vergesellschaftung weiterzuentwickeln und ein selbstorganisiertes Netzwerk von Produzent*innen aufzubauen.
1 Alle Wiedergaben in indirekter Rede sind aus dem Gedächtnis protokolliert und stellen sinngemäße Wiedergaben dar, keine des O-Tons.